Robert Habeck in Osnabrück – Wahlkampfauftritt der Grünen

Bevor er sich am Abend mit Friedrich Merz in der Talkshow von Maybrit Illner duellieren konnte, stand Robert Habeck am Vormittag des 26.08.2021 auf dem Rathausplatz von Osnabrück unter den für die Stadt symbolischen weißen Tauben. Im Vorfeld hatten die Grünen aus Osnabrück eine runde Bühne aufgebaut, die hervorstach zwischen Rathaus, Stadtbibliothek, Marienkirche und Standesamt, wo auch gerade eine Hochzeit gefeiert wurde.

Der Platz war schon gut gefüllt, als die Veranstaltung mit einem Auftritt der Oberbürgermeister-Kandidatin Annette Niermann begonnen hat. Die “Annette für Osnabrück”-Band kündigt sie mit Musik an, und großer Applaus im Publikum, als sie die Bühne betritt, spricht für ihre Beliebtheit. In ihrer kurzen Rede stellt die 52-jährige mit Erfahrung im Bürgermeisteramt aus Bad Iburg vor allem ihre Pläne für eine autofreie Innenstadt innerhalb des Wallrings, den Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln und Radwegen vor, auch Kinderrechte sind ihr wichtig, dies will sie aus verschiedenen Politikfeldern wie Bildung heraus angehen. Sie ist selbst das fünfte Kind aus einer Arbeiterfamilie und rückt darum in den Fokus, Armut und vor allem Kinderarmut effektiv zu bekämpfen.
Danach kündigt sie die nächsten Gäste an, die Bundestagskandidaten für Osnabrück und Landkreis an. Zuerst spricht Thomas Klein, Anwalt und Mitglied des letzten Osnabrücker Stadtrats, der sich dafür einsetzen will, dass härter gegen rechtsextreme Gewalt vorgehen will. Er kritisiert, dass gegen die rechten Gruppierungen in der Polizei nicht ordentlich gehandelt wird. Der Slogan “Mit Recht gegen Rechts”, fasst seine Pläne, die Erfahrungen als Anwalt in den Bundestag zu nehmen, um gegen Rechtsextreme zu kämpfen, am Ende seines Redebeitrags zusammen.
Ihm zur Seite steht Filiz Polat, aktuelle Abgeordnete des Deutschen Bundestages für Osnabrück-Land und migrationspolitische Sprecherin der Grünen. Sie findet klare Worte zur Lage in Afghanistan, weißt auf den Antrag zur früheren Evakuierung der Grünen schon vor Monaten hin und erklärt, dass es wegen der Reaktionslosigkeit der Regierung aus CDU/CSU und SPD nun viel mehr Opfer geben wird. Für umso wichtiger hält sie es, Asylsuchende aus Afghanistan aufzunehmen, denen Deutschland Hilfe versprochen hat, sie sollen jetzt nicht im Stich gelassen werden.
Sie redet noch etwas länger, da die Sprecher dem Zeitplan etwas voraus sind, und erntet freundlichen Applaus. Doch noch viel aufgeregter klatscht die Menge, die den gesamten Rathausplatz füllt, als dann Robert Habeck die Bühne betritt. Auf dem Weg konnten Werbebanner zur Justus Möser-Ausstellung in der Marienkirche die Aufmerksamkeit des Co-Vorsitzenden der Grünen gewinnen – “Zeit im Umbruch” lautet das Motto, und spontan macht Habeck dies zur Leitlinie für seine Rede. Von Justus Möser wusste er vorher nicht viel, gibt er zu, doch er nimmt an, auch zur Zeit von Justus Möser, dem Beginn der Aufklärung, spürten die Menschen, dass sich etwas verändert. Auch heute sei dieses Bewusstsein vorhanden, wegen der unaufhaltsamen Digitalisierung und Globalisierung, aber auch wegen der Klimakrise.
Für alle Anwesenden skizziert er die Probleme und Herausforderungen, vor denen Deutschland steht. Er stellt fest, dass der Wahlkampf diesen schwierigen Aufgaben noch nicht gerecht wurde, und holt etwas weiter aus, um zu erklären, dass dieses Negative Campaigning auch damit zusammenhängt, dass negative Aussagen in sozialen Medien mehr Aufmerksamkeit finden. Er kritisiert aber auch vergangene Wahlkämpfe, die gerade darauf ausgelegt waren, keine Antworten zu geben, die Probleme auszusitzen und auf bekannte Gesichter setzten, die für keine große Veränderung standen. Symbolisch dafür steht für ihn der Wahlspruch “Sie kennen mich”, den Angela Merkel von der CDU, aber auch Winfried Kretschmann von den Grünen erfolgreich nutzten. Er will für einen anderen Wahlkampf und eine andere Politik stehen, eine, die Antworten gibt – und auch Verantwortung übernimmt.
Antwort und Verantwortung, das ist für Habeck nicht nur ein Wortspiel. Er nennt viele Beispiele, in denen die letzte Regierung keine Antworten hatte und dann keine Verantwortung übernommen hat, unter anderem wie sich fünf Ministerien an der Digitalisierung Deutschlands beteiligten und sich letztlich gegenseitig die Schuld daran zugesprochen hatten, warum nichts voranging. Das aktuellste Beispiel ist Afghanistan, wo sich bereits abzeichnet, dass die Verantwortung zwischen allen umhergeschoben wird, bis sie niemand mehr tragen muss. Denn es gab keine Antworten, es sollte keine Antworten geben, und das hat zur Katastrophe beigetragen. Und er leitet in eine Zukunftsprojektion über, wie es aussehen würde, falls es bei der Klimakatastrophe auch so wäre.
Die Pläne von Union und SPD, mit einem Kohleausstieg 2038 trotzdem 2040 CO2-neutral sein zu können, erklärt er schnell und deutlich als unrealistisch, die Rettung des Klimas würde verfehlt und die Verantwortung nicht übernommen werden. Er korrigiert auch etwas, das bei einem früheren Wahlkampfauftritt wohl falsch verstanden wurde, so ging es bei dem von ihm und Kanzlerkandidatin Baerbock vorgeschlagenen Klimaministerium vor allem um Kompetenzenbündelung, damit nicht ein Streit wie bei der Digitalisierung entsteht, Ministerien sollen nach Ansicht der Grünen zusammenarbeiten anstatt sich im Weg zu stehen, dafür wollen sie sorgen. Bei der Gelegenheit holt sich Habeck zusätzlichen Applaus für Kritik an den für ihre großen Fehler bekannten CDU/CSU-Ministern Julia Klöckner und Andreas Scheuer, deren Versagen vor kurzem schon im neuen Rezo-Video zusammengetragen wurden.
So kommt Habeck zum letzten und für ihn wichtigsten Punkt seiner Rede, seiner Ansicht nach ist die Zeit im Umbruch wie zu Beginn der Aufklärung, und er will mit seiner Partei die notwendigen Veränderungen auf den Weg bringen, Antworten geben und Verantwortung tragen. Und so nimmt er nach weiterem großen Beifall auch Fragen aus dem Publikum entgegen, die alle Besucher vorher auf Zettel schreiben konnten, welche dem Co-Parteivorsitzenden dann gereicht wurden. Für diese Fragen nimmt er sich Zeit, und lässt sich von Glockengeläut des Kirchturms und kurzen Regenschauern nicht aus dem Konzept bringen. Er unterbricht kurz, als die Hochzeitsgemeinschaft hinter ihm jubelt, um dem frisch vermählten Paar eine lange und glückliche Ehe zu wünschen, macht dann aber weiter, wo er aufgehört hat.
Nur eine Woche zuvor hatte auch Kanzlerkandidat der CDU Armin Laschet auf eben jenem Platz beantwortet, in seinem Fall nicht für die Besucher, sondern für Journalisten. Hängen blieb vor allem ein Clip, in dem ihm nach Digitalisierung und Entbürokratisierung kein dritter Punkt auf die Frage einfiel, was er machen will, falls er Kanzler wird. Er wurde daraufhin viel dafür kritisiert und ausgelacht, auf die offensichtlichste aller Fragen keine Antwort zu haben, es war einer der vielen Fehltritte, die zu dem aktuellen Abwärtstrend von Laschet selbst und seiner Partei beigetragen haben. Dies hat soweit geführt, dass weite Teile der CDU – erfolglos – seinen Rücktritt als Kanzlerkandidaten gefordert haben, um den Verlust der Wahl zu verhindern. Habeck leistet sich in Osnabrück solche Fehler nicht, freut sich auf und über die Fragen der Bürger und antwortet mit gut verständlichen Erklärungen.
Besonders ausführlich geht er auf die Frage der Landwirte ein, wie sie die Entwicklung hin zu klimafreundlicher Landwirtschaft finanziell schaffen sollen. Mit viel Fachkenntnis legt er den Zuhörern dar, wie das aktuelle System die Landwirte zwingt, möglichst effizient zu produzieren, um die Preise so niedrig wie möglich halten zu können. Es handle sich um eine politische Entscheidung, die er zu ändern gedenkt, die Landwirte sollen statt für möglichst effiziente Produktion für möglichst klimafreundliche Produktion entlohnt werden, die Regierung soll die Umstellung finanziell unterstützen. So will er den Gegensatz zwischen Klimaschützern und Landwirten auflösen, damit mehr Klimaschutz künftig im Interesse der Landwirte und fairere Löhne im Interesse der Klimaschützer sind, und sie gemeinsam statt gegeneinander stehen können.
Etwas weniger fällt ihm auf die Frage des Vereins für Direktversicherungsgeschädigte ein, da er diesbezüglich nicht im Thema ist, dafür erläutert er gern den Plan seiner Partei, die Wende zur klimafreundlichen Gesellschaft für ärmere Bürger und Leute vom Land finanzierbar zu machen. Da konkret nach einer Pflegerin gefragt wird, sichert er echte Unterstützung statt bloßen Applaus zu, bevor er den Dreiklang aus Mindestlohn von 12€, Energiegeld von bis zu 100€ an alle Bürger und Erhalt der Pendlerpauschale als soziale Absicherung aufzählt, die Menschen auch auf dem Land helfen soll, während der Ausbau der ländlichen Infrastruktur mit Radwegen und öffentlichen Verkehrsmitteln endlich vorangeht. Dass es nicht jedem möglich ist, sich ein Elektro-Auto zuzulegen, ist ihm bewusst, er will es aber allen so leicht wie möglich machen, vor allem mittels staatlicher Unterstützung für den Kauf, die möglichst vielen zugute kommen soll, die sie brauchen, es soll nicht den Reichen helfen, die es sich problemlos selbst leisten können, damit mehr für die übrig bleibt, die es sich nur deshalb überlegen.

Sowohl ein weiterer Regenschauer als auch der nächste Termin in Braunschweig, zu dem Habeck nicht zu spät sein will, drängen letztlich zu einem pünktlichen Ende. Es werden noch eilig persönliche Fragen zu Musikgeschmack und Lieblingsphilosophin gestellt, bevor die große Masse an Menschen, die sich gesammelt hat, vom Platz eilt, um Schutz vor dem Regen zu suchen. Gemessen am Applaus, auch verglichen an den anderen Rednern, zeigt sich, dass Habeck die Besucher für sich begeistern kann. Falls die Grünen bei der Wahl am 26. September gut abschneiden und Teil der nächsten Regierung werden, ist damit zu rechnen, dass Habeck einen Ministerposten bekommt, ob er also auch genug Wähler überzeugen kann, wird sich bald zeigen.

Justin Löwe

Ich bin seit inzwischen neun Jahren als Jugendreporter unterwegs, stand schon mehrmals in der NOZ und möchte hier den Leuten mit möglichst hochwertigen Berichten die Interessen der jüngeren Generation näherbringen.

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